Reiten ist mehr als ein Trainingsplan und ein paar hübsche Übungen. Ein tragfähiges Pferd ist eines, das dich physisch und psychisch wirklich tragen kann – mit Stabilität, Freude und innerer Ruhe. Und dafür reicht es eben nicht, „nur“ zu trainieren oder stumpf Muskulatur aufzubauen. Training ist die Königsdisziplin, aber sie steht auf einem Fundament aus Management, Gesundheit und Beziehung.
Im Beitrag zeige ich dir, warum „nur trainieren“ oft ins Leere läuft – und was wirklich sinnvoll ist, damit Tragkraft wachsen kann.
Was Tragfähigkeit eigentlich bedeutet
Tragfähigkeit heißt nicht „mehr Muckis“. Sie ist das Zusammenspiel aus:
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körperlicher Stabilität (Rumpfstabilität, Hinterhandaktivität, elastische Faszien, frei schwingender Brustkorb),
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koordinierter Bewegung (Balance, Rhythmus, Losgelassenheit),
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mentaler Regulation (Sicherheit, Vertrauen, Aufmerksamkeit)
– plus passender Ausrüstung und pferdegerechter Haltung.
Wenn einer dieser Bausteine fehlt, kompensiert der Körper – und Kompensation ist auf Dauer immer teurer als Aufbau.
Warum „nur trainieren“ nicht reicht (und oft sogar schadet)
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Stress frisst Technik: Ein gestresstes Nervensystem kann keine feinen Bewegungen lernen. Ohne innere Balance keine äußere Balance.
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Falsche Rahmenbedingungen konservieren Probleme: Zu wenig Bewegung im Alltag, suboptimale Fütterung oder drückendes Equipment machen jedes Trainingsplus zunichte.
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Kompensation statt Kapazität: Wird über Müdigkeit, Schmerz oder Unsicherheit „drübergeritten“, trainierst du Schutzmuster – nicht Tragkraft.
Die 7 Säulen echter Tragfähigkeit
1) Psyche & Nervensystem: Sicherheit vor Leistung
Ein Pferd, das sich sicher fühlt, entspannt die Muskulatur, atmet tiefer und kann sich tragen.
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Sinnvoll: Rituale, klare Signale, Pausen, Co-Regulation (du atmest ruhig → Pferd atmet nach). Micro-Übungen: 20 Sek. stehen – 4 Schritte – wieder stehen (Fokus + Herzfrequenz senken).
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Warnzeichen: Fixierter Blick, Eile im Schritt, häufiges Erschrecken.
2) Haltung & Alltag: Bewegung macht die Hälfte der Arbeit
Tragkraft wird zwischen den Einheiten gebaut.
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Sinnvoll: Viel freier Schritt auf abwechslungsreichem Untergrund, Sozialkontakt, Schatten/Windschutz, passende Liegeflächen.
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Quick wins: "Heunetz-Parcours", Wasserstelle/Heu räumlich trennen (mehr natürliche Wege), tägliche Spaziergänge mit Aufgaben (Anhalten, Biegung, Übertreten).
3) Fütterung: Muskeln wachsen nicht aus Luft
Ohne Nährstoffe keine Anpassung – egal wie gut du trainierst.
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Sinnvoll: Raufutter angepasst an die Bedürfnisse des Pferdes als Basis, ausreichend Eiweiß für Muskelaufbau, bedarfsgerechtes Mineralfutter, Salz, Wasserqualität prüfen.
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Hinweis: Unerklärliche „Trainingsplateaus“ sind oft Fütterungs- oder Verdauungsthemen.
4) Equipment: Passform ist Prävention
Ein drückender Sattel oder ein zu enger Nasenriemen zerstört jede Trainingsminute.
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Sinnvoll: Regelmäßiger Sattel-Check (Pferd verändert sich!), Gebiss/Nasenriemen so, dass Kauen/Atmen möglich bleibt; Gurtung, Pad und Steigbügellänge prüfen.
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Symptome bei Problemen: Zucken beim Gurten, Ausweichen beim Aufsteigen, „Kopfklemmen“, kurzer Schritt.
5) Gesundheit & Bodycare: Die „stillen Bremser“ finden
Zähne, Hufe, Faszien, Blockaden – wenn hier etwas hakt, kompensiert der Rücken.
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Sinnvoll: Zahnkontrolle, Hufbearbeitung, Physio/Osteo begleitend zum Aufbau; Entzündungszeichen ernst nehmen.
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Self-Checks: Carrot-Stretches (symmetrisch?), Sternum-Lift (hebt der Rücken weich an?), seitliches Biegen ohne Ausweichen?
6) Dein Sitz & deine Energie: Der Reiter ist „Last“ oder „Leitsystem“
Tragfähigkeit scheitert oft an uns – unbewusst.
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Sinnvoll: Sitzschulung, Atmung, Körperspannung uvm
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Vor jedem Aufsitzen: 3 tiefe Atemzüge, Sitzbeinhöcker spüren, weich anreiten.
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Merksatz: Du bist Metronom, nicht Motor.
7) Trainingsgestaltung: Qualität vor Quantität
Periodisierung, sinnvolle Schrittarbeit und Progression sind dein Hebel.
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Sinnvoll:
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Schritt als Hauptbaustelle: Übergänge Halt↔︎Schritt, Tempovariationen, Biegung, Schulterherein/Travers an der Hand.
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Kraft: kurze, saubere Reize, dazwischen Dehnung.
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Progression: nicht jede Einheit „mehr“, sondern besser – 1 Parameter pro Woche erhöhen (Wiederholungen oder Schwierigkeitsgrad oder Dauer).
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Woran du echten Fortschritt erkennst
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Schweißbild: fein und gleichmäßig an der arbeitenden Muskulatur, nicht klatschnass an Brust/Schultern.
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Haltung: mehr Selbstaufrichtung, weniger „festhalten“.
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Schritt: länger, taktrein, kein Eilen; Übergänge werden leise.
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Psyche: schnelleres „Runterkommen“, mehr „Anbieten“.
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Alltag: Aufsteigen ruhig, Putzen entspannt, Hufe geben leichter.
Checkliste: Ist die Basis tragfähig?
Frisst und ruht das Pferd ungestört?
Passendes Raufutter, passendes Mineral, ausreichend Eiweiß?
Sozialkontakt & tägliche freie Bewegung?
Sattel/Zaum ohne Abwehrzeichen?
Zähne/Hufe aktuell ok?
Im Schritt taktrein, ohne Eile/Pass?
Kann 20 Sek. ruhig stehen, dann weich angehen und wieder anhalten?
Kommt es nach Aufregung binnen 2–3 Min. sichtbar runter?
Sind hier Lücken, fülle sie zuerst – dann wird Training zur Königsdisziplin, nicht zum Kampf gegen Kompensationen.
Fazit
Ein tragfähiges Pferd entsteht, wenn Körper, Kopf und Kontext zusammenpassen. Training bleibt wichtig – aber es ist nur die Spitze des Eisbergs. Legst du das Fundament aus Psyche, Haltung, Fütterung, Gesundheit, Ausrüstung und deinem Sitz, wird jede Trainingsminute plötzlich wirksam.
So entsteht echte Tragkraft: leise, nachhaltig, pferdegerecht.