Viele Reiterinnen nehmen es kaum wahr oder stempeln es schnell als „Unart“ ab:
Das Pferd dreht beim Aufsteigen die Hinterhand weg.
Doch die Wahrheit ist: Dein Pferd spricht mit dir.
Und was es sagt, ist ziemlich deutlich:
👉 „So, wie es gerade läuft, fühlt sich das für mich nicht gut an.“
Dieses Verhalten ist kein Trotz, keine Respektlosigkeit und schon gar keine Boshaftigkeit. Es ist ein Kommunikationsversuch, den wir ernst nehmen sollten.
Mögliche Gründe, warum dein Pferd die Hinterhand beim Versuch aufzusteigen rausdreht
1️⃣ Schmerzen oder körperliche Einschränkungen
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Rückenschmerzen
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Blockaden in der Wirbelsäule
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Kissing Spines
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Probleme im ISG (Kreuzdarmbeingelenk)
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schlecht entwickelte Muskulatur
➡️ All das kann dazu führen, dass dein Pferd das Reitergewicht beim Aufsteigen gar nicht schmerzfrei annehmen kann. Das Rausdrehen der Hinterhand ist dann nicht Ungehorsam – sondern ein Schutzmechanismus.
2️⃣ Unpassender Sattel oder Equipment
Ein Sattel, der drückt, verrutscht oder zu eng ist, macht schon das bloße Aufsitzen zur Qual. Auch ein zu enger Gurt oder ein schlecht sitzendes Pad können Probleme verursachen.
➡️ Dein Pferd signalisiert dir: „So kann ich dich nicht tragen, ohne Schmerzen zu haben.“
3️⃣ Schlechte Erfahrungen beim Aufsteigen
Viele Pferde haben gelernt:
Aufsteigen bedeutet Stress, Unruhe oder sogar Schmerzen. Vielleicht, weil sie unsanft angeritten wurden, weil man sie beim Aufsitzen festhielt oder ihnen mit Druck begegnete.
➡️ Das Verhalten ist dann ein Ausdruck von Erinnerung an schlechte Erfahrungen.
4️⃣ Angst oder Unsicherheit
Gerade junge oder sensible Pferde verstehen anfangs oft gar nicht, was beim Aufsteigen passiert. Ein Mensch bewegt sich plötzlich über ihnen, ihr Sichtfeld verändert sich – das kann beängstigend wirken.
➡️ Unsicherheit zeigt sich häufig in Bewegung: Das Pferd versucht, sich aus der Situation herauszuwinden.
5️⃣ Niemand hat es erklärt
Viele Pferde haben schlichtweg nie gelernt, dass Aufsteigen ruhig und entspannt ablaufen kann. Sie wissen nicht, was erwartet wird – und reagieren mit Ausweichen.
➡️ Ein Lernproblem – kein Verhaltensproblem.
❌ Warum es nicht sinnvoll ist, dieses Verhalten mit Druck zu „korrigieren“
Allzu oft sehe ich, dass versucht wird, das Rausdrehen der Hinterhand mit Zwang zu unterbinden:
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mehr Druck mit dem Strick
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energisches Treiben
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harsches Korrigieren
Doch das führt nur zu zwei Dingen:
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Dein Pferd fühlt sich noch unsicherer oder unverstandener.
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Die Ursache bleibt ungelöst – sei es Schmerz, Angst oder fehlende Ausbildung.
👉 Druck bekämpft nur das Symptom, nicht die Wurzel des Problems.
Und das bedeutet: Das Verhalten wird bleiben oder sich in anderer Form verstärken.
✅ Was du stattdessen tun solltest:
1. Ursache suchen
Bevor du trainierst, lass Sattel, Zähne, Rücken und Bewegungsapparat checken. Schmerzen oder unpassendes Equipment sind eine der häufigsten Ursachen.
2. Sicherheit geben
Gestalte das Aufsteigen kleinschrittig:
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ruhiges Stehen lernen
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Parken an der Aufstiesghilfe üben
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Bewegungen des Menschen von oben positiv verknüpfen
3. Vertrauen aufbauen
Mach das Aufsteigen zu einem sicheren Ritual, das dein Pferd versteht und mit Ruhe verbindet – nicht mit Druck.
4. Muskulatur aufbauen
Ohne Rumpfstabilität und Tragkraft wird Aufsteigen immer unangenehm bleiben. Setze auf Bodenarbeit, Gymnastizierung und gezielten Muskelaufbau.
5. Deine eigene Energie prüfen
Bist du hektisch, angespannt oder unsicher? Dein Pferd spürt das sofort. Gehe bewusst ruhig, klar und zentriert in diese Situation.
Fazit: Dein Pferd dreht die Hinterhand nicht „aus Trotz“ weg
Das Rausdrehen beim Aufsteigen ist ein Hilferuf – kein Widerstand.
Es sagt: „So wie es gerade ist, stimmt etwas nicht für mich.“
Wenn du das Verhalten ignorierst oder mit Druck „korrigierst“, trainierst du an der Oberfläche – und verschärfst oft das eigentliche Problem.
Wenn du stattdessen hinhörst, Ursachen suchst und dein Pferd Schritt für Schritt vorbereitest, wirst du nicht nur ein sicheres Aufsteigen bekommen, sondern auch mehr Vertrauen, Losgelassenheit und Verbindung.
Denn am Ende gilt: Jedes Verhalten deines Pferdes ist Kommunikation. Die Frage ist, ob du zuhörst.