Warum hat man ein Pferd, wenn man es nicht reiten kann?

Diesen Satz habe ich in den letzten Jahren so oft gehört – und jedes Mal macht er mich traurig.
Nicht nur, weil er urteilt, ohne zu verstehen. Sondern vor allem, weil er das Pferd allein auf seinen Nutzen reduziert – auf Reitbarkeit.

 

Doch ein Pferd ist kein Sportgerät. Es ist ein Lebewesen, ein Partner, ein Gefährte. Und genau deshalb gibt es unzählige gute Gründe, warum ein Pferd zeitweise oder dauerhaft nicht geritten wird.

 

Warum ein Pferd nicht geritten wird – die häufigsten Gründe

 

1️⃣ Gesundheitliche Einschränkungen
Manchmal sind es Erkrankungen, Verletzungen oder altersbedingte Veränderungen, die Reiten schlicht unmöglich machen. Und ja – auch wir Menschen sind nicht immer körperlich in der Lage, zu reiten. Heißt das, wir dürfen keine Pferde haben? Natürlich nicht.

 

2️⃣ Traumata aus der Vergangenheit
Viele Pferde tragen Erfahrungen mit sich, die sie misstrauisch oder ängstlich gegenüber dem Reiten gemacht haben. Diese Themen brauchen Zeit, Geduld und Vertrauen – kein „Jetzt musst du aber“.

 

3️⃣ Trageerschöpfung und fehlende Muskulatur
Ein Pferd, das sich selbst nicht gesund tragen kann, darf niemanden zusätzlich tragen.
Wenn Muskeln fehlen, Gelenke überlastet sind oder Kompensationen auf dem Limit laufen, ist Reiten keine Option – sondern ein Risiko für Schmerzen, Folgeschäden und Vertrauensverlust.

 

Warum Reiten unter diesen Umständen nicht sinnvoll ist

Viele Reiterinnen denken: „Wenn ich nur konsequent trainiere, wird es schon besser.“
Doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Ein Pferd mit Trageerschöpfung weiter zu belasten, verstärkt die Probleme.
Die Strukturen, die ohnehin schon überfordert sind, verschleißen noch schneller.

Ein Pferd mit Schmerzen weiterzureiten, zerstört Vertrauen.
Es verbindet dich und die Arbeit mit Druck, Stress und Hilflosigkeit – und zieht sich innerlich zurück.

Ein traumatisiertes Pferd ins Reiten zu zwingen, verfestigt die Angst.
Es wird nicht lernen, dass es sicher ist, sondern dass es erneut aushalten muss.

➡️ Reiten ist dann nicht Förderung, sondern Überforderung.

 

Was es stattdessen braucht

Ein Pferd, das (noch) nicht tragfähig oder reitbar ist, braucht andere Dinge:

  • Aufbauarbeit vom Boden – gezielte Übungen, die Muskulatur und Balance entwickeln

  • Therapeutische Begleitung – Physiotherapie, Osteopathie oder angepasste Fütterung

  • Mentale Sicherheit – Training, das Ängste abbaut, Vertrauen schafft und innere Ruhe gibt

  • Geduld und Weitblick – ein klares Ziel, aber in kleinen Schritten, angepasst an das Pferd

Denn: Reiten beginnt nicht im Sattel, sondern in der Vorbereitung.

 

Pferdemensch sein heißt mehr als reiten

Ich sehe Pferde als fühlende Wesen – nicht als Werkzeuge.
Und genau deshalb investiere ich Zeit, Wissen und Geduld, um sie systematisch aufzubauen, bevor überhaupt ans Reiten zu denken ist.

Pferdemensch sein heißt nicht: „Ich sitze drauf, also habe ich ein Pferd.“
Sondern: „Ich höre zu, ich fühle, ich begleite – und manchmal bedeutet das, bewusst NICHT zu reiten.“

Und weißt du was?
Genau da entsteht oft die größte Verbindung.

 

Fazit

Die Frage „Warum hat man ein Pferd, wenn man es nicht reiten kann?“ zeigt ein Denken, das Pferde auf Funktion reduziert. Doch Pferde sind keine Maschinen. Sie brauchen – und verdienen – mehr: Verständnis, Geduld, Vertrauen, Aufbauarbeit.

 

 

Reiten ist ein Geschenk, kein Selbstzweck. Und ein Pferd zu begleiten – auch ohne Sattel – ist eine der wertvollsten Erfahrungen, die wir als Pferdemenschen machen können.