Auf den ersten Blick sieht es harmlos aus:
Das Pferd steht ruhig da, die Ellenbogen eng am Körper, scheinbar „kompakt“. Viele Reiterinnen nehmen dieses Bild nicht als Warnsignal wahr – dabei ist genau das der erste sichtbare Hinweis auf ein tieferliegendes Problem im Tragesystem deines Pferdes.
Was hier aussieht wie eine normale Haltung, ist in Wahrheit ein deutlicher Kompensationsmechanismus – und der Beginn eines Teufelskreises, der körperliche und mentale Belastungen nach sich ziehen kann.
Was passiert hier biomechanisch?
In einem gesunden Bewegungsablauf trägt das Pferd seinen Brustkorb frei schwebend und federnd zwischen den Schulterblättern.
Dieser Bewegungsfluss wird ermöglicht durch:
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aktive Faszien
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funktionierende Rumpfmuskulatur
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einen elastischen Schultergürtel
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und ein stabiles Tragesystem
Dieses ausbalancierte Zusammenspiel ist die Grundlage für Losgelassenheit, Tragkraft und Schwung.
Doch wenn dieses System überfordert oder fehlerhaft trainiert wird, passiert etwas anderes:
Das Pferd versucht, den Rumpf anders zu stabilisieren – durch Kompensation.
Die typische Kompensation: Ellenbogen an den Brustkorb pressen
Wenn dein Pferd beginnt, die Ellenbogen eng an den Rumpf zu ziehen, ist das kein Zufall.
Es ist ein Zeichen für:
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Überforderung des Tragesystems
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fehlende Tragkraft oder Rumpfstabilität
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Muskelverspannung durch schlechte Bewegungsmuster
➡️ Das Pferd versucht, den instabilen Brustkorb „zusammenzuhalten“, indem es ihn über die Vordergliedmaßen aktiv abstützt – mit Hilfe der
Ellenbogen.
Dieser „Schutzmodus“ ist eine Art inneres Notfallprogramm.
Doch: Er blockiert Bewegungsfreiheit, verschlechtert die Losgelassenheit und behindert
die korrekte Funktion der Vorhand.
Was sind die Folgen, wenn du dieses Symptom ignorierst?
Ein Pferd, das dauerhaft kompensiert, statt sich korrekt zu tragen, entwickelt sekundäre Probleme, zum Beispiel:
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Vermehrte Spannung in Schulter- und Brustmuskulatur
→ Die Muskulatur verkrampft, weil sie ständig stützt statt bewegt. -
Eingeschränkte Vorhandbewegung
→ Dein Pferd wirkt „kurztrittig“, schwerfällig oder lahmähnlich. -
Taktunreinheiten im Schritt
→ Besonders im Schritt, der ehrlichen Gangart, fallen Unregelmäßigkeiten deutlich auf. -
Unlust beim Satteln oder Aufsteigen
→ Druck auf einen ohnehin verspannten Bereich wird als schmerzhaft empfunden.
➡️ Das Problem verschiebt sich nach und nach durch den ganzen Körper: über Schulter, Hals, Rücken bis in die Hinterhand.
Warum Training in diesem Zustand nicht sinnvoll ist
Wenn du in dieser körperlichen Lage weiterreitest oder forderst, tust du Folgendes:
❌ Du verstärkst das fehlerhafte Bewegungsmuster
❌ Du trainierst die Kompensation, statt die Ursache zu beheben
❌ Du verschleißt die Strukturen, weil sie nicht dafür gemacht sind, dauerhaft zu stützen
❌ Du verlierst Vertrauen, weil dein Pferd Schmerzen mit Training verbindet
Ein solches Training ist nicht nur ineffektiv – es ist pferdeschädlich.
Was dein Pferd stattdessen braucht:
1️⃣ Korrekte, kleinschrittige Aufbauarbeit
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z. B. Bodenarbeit zur Mobilisation und Kräftigung der Rumpfmuskulatur
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gezielte Koordinations- und Körperwahrnehmungsübungen
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Übungen zur Aktivierung des Brustkorbs
2️⃣ Sattel- und Ausrüstungscheck
Ein zu enges, schlecht sitzendes Equipment oder ein drückender Sattel verschlimmern das Problem massiv.
3️⃣ Ruhe und Präzision statt Druck und Tempo
Tempo kaschiert Symptome – langsames, bewusstes Arbeiten deckt sie auf und ermöglicht Veränderung.
4️⃣ Beobachtung der Anzeichen
Achte auf Haltung im Stand, Schrittqualität, Sattellage, Muskeltonus.
Je früher du kompensatorisches Verhalten erkennst, desto gezielter kannst du helfen.
5️⃣ Vertrauen und emotionale Sicherheit
Ein Pferd, das körperlich instabil ist, fühlt sich oft auch mental unsicher. Deine ruhige, klare Präsenz hilft, Spannung zu lösen – nicht nur im Körper, sondern auch im Kopf.
✅ Fazit: Kleine Haltung – großes Warnsignal
Wenn dein Pferd die Ellenbogen eng an den Körper zieht, ist das kein belangloses Detail – sondern ein körperlicher Hilferuf.
Statt weiterzureiten oder „drüber hinweg zu trainieren“, darfst du innehalten und genauer hinschauen:
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Wie gut kann mein Pferd seinen Rumpf wirklich tragen?
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Welche Strukturen sind verspannt – und warum?
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Was braucht es, um in echte Balance zu kommen?
Je früher du reagierst, desto mehr kannst du für die Gesundheit deines Pferdes tun – und langfristig ein Reitpferd entwickeln, das sich gerne bewegt, kraftvoll trägt und mit dir in Verbindung bleibt.
Möchtest du wissen, wie du gezielt Tragemuskulatur aufbaust oder dein Pferd aus der Kompensation herausbegleitest?
Ich unterstütze dich gern mit individueller Analyse, Trainingsbegleitung oder therapeutischer Unterstützung.
Für dich und dein Pferd,
Sarah